Vor dem «Waldenburgerli» kamen die Uhren ins Tal
Fritz Sutter, Industriemuseum Waldenburgertal, 10. Februar 2022Die Neubaustrecke der Waldenburgerbahn ist ein Grossereignis für das Waldenbugertal und darüber hinaus. Vor gut 140 Jahren war dies vermutlich auch bereits der Fall, als sich am 30. Oktober 1880 die «WB» nach einer Rekordbauzeit von gerade mal neun Monaten und Kosten von 377’000 Franken schnaubend und zischend erstmals durchs Tal schlängelte.
Bevor es aber so weit war, durchlebte das Waldenburgertal und die nähere Umgebung einen schmerzlichen Anpassungsprozess, wollte der junge Kanton doch an der allgemeinen Entwicklung der neuen Zeit teilhaben. Die Einführung der Eisenbahn und damit eine Umlagerung des Verkehrs – weg vom Passverkehr mit Pferdegespann – drohte für das Tal zum Desaster zu werden, denn der Verkehr führte nun nicht mehr über den Oberen Hauenstein.
Verarmung und Not drohten, da der Verdienst aus dem Durchgangsverkehr in den Dörfern ausblieb. Bevor jedoch die Bahnlinie von Liestal nach Olten in Betrieb war, hatte Waldenburg das drohende Unheil abzuwenden versucht. Einsichtige Einwohner wollten es nicht dazu kommen lassen, dass in ihrem Ort kein Dach mehr ganz sein sollte.
Reisegeld für Auswanderungswillige
Im Jahr 1852 wurde daher von der Gemeinde eine Auswanderungskommission eingesetzt. Diese hatte Vorschläge einzubringen, «inwiefern diejenigen Bürger, so nach Amerika auszuwandern gesonnen seien und von Seiten hiesiger Gemeinde Reisegeld verlangen, aus der Gemeindekasse unterstützt werden sollen».
Es lagen einige Gesuche um Unterstützung vor, und so wurde beschlossen: 1. Diejenigen, die ganz arm sind, erhalten Reisegeld bis New York, die nötigen Kleider und einen Betrag je nach Umständen, der ihnen in New York ausbezahlt werden soll. 2. Wer die Reisekosten bezahlen kann, erhält eine Entschädigung von 150 Franken.
Der wohl wegweisende Beschluss wurde aber am 21. August 1853 von der Gemeindeversammlung gefasst und zur Genehmigung an den Regierungsrat übermittelt:
«Die hiesige Gemeinde hat an ihrer Versammlung vom 21. dies beschlossen, in hiesiger Gemeinde die Uhrenfabrikation einzuführen.»
Daraufhin wurde die «Société d’Horlogerie à Waldenbourg» gegründet. Zuerst wurden in Waldenburg lediglich Rohwerke zusammengesetzt, deren Einzelteile man aus der Westschweiz bezog. Schwierigkeiten bereitete die Beschaffung geeigneter Arbeitsräume, und so wurden zwölf helle Lauben an einige Häuser angebaut.
Das Unternehmen florierte aber erst, nachdem es privatisiert und 1859 vom jungen Kaufmann Gédéon Thommen und dem Uhrmacher Louis Tschopp übernommen wurde. Tschopp und Thommen führten das Unternehmen bald gewinnbringend und waren von der günstigen Entwicklung ermutigt. Bereits 1860 errichteten sie ein kleines Fabrikationsgebäude ausserhalb der Stadtmauer im «Münsterli».
Die im Städtchen verteilten Fabrikationszweige wurden zusammengefasst und einer strafferen Organisation und Beaufsichtigung unterstellt. In der Folge entstanden im ganzen Waldenburgertal bis ca. 1940 weitere Uhrenfabriken und zahlreiche Zulieferbetriebe.
Noch heute sind in Waldenburg Lauben aus der Pionierzeit sichtbar, in denen nach 1853 die Uhrenateliers mit je zehn bis zwölf Arbeitsplätzen untergebracht wurden. Man bezahlte 1858 für ein Uhrenatelier rund 90 Franken im Jahr, und der Vermieter musste die Lokalität auf eigene Rechnung einrichten lassen. Natürlich fehlte es in den «Buden» an jeglichem Komfort, selbst auf den unbequemen Drehhockern war jegliche Polsterung verpönt.
Ein nachgebautes Atelier und vieles mehr aus der Geschichte der Uhrmacherei im Baselbiet kann im Industriemuseum Waldenburgertal (IMW) in Niederdorf besichtigt werden. Mehr Informationen unter www.imw-forum.ch.
Dieser Text erschien als Beitrag der Serie «Hingucker» in der Basellandschaftlichen Zeitung vom 03.02.2022. Redaktionelle Verantwortung: Hannes Nüsseler