Eine Dichterin im Kalten Krieg. Sonderausstellung zu Helene Bossert im DISTL

Die Mundartdichterin Helene Bossert (1907–1999) und ihre beinahe unglaubliche Biografie sind bis heute im Baselbiet sehr bekannt. Wer ihre Geschichte jedoch zum ersten Mal hört, staunt über die Stärke dieser Frau, die sich aus einfachsten Verhältnissen zur erfolgreichen Autorin hocharbeitet – und dann zusehen muss, wie ihr Leben im Zeichen der Weltpolitik aus den Fugen gerät.

Aufstieg zur Dichterin und Radiomoderatorin
Geboren 1907 in Zunzgen als Tochter eines Staatswegmachers und einer Posamenterin, darf Helene Bossert nur die Primarschule besuchen, die damals acht Jahre dauert. Danach arbeitet sie als Posamenterin, in einem Zulieferbetrieb für die Uhrenindustrie und schliesslich als Haushaltshilfe in einem begüterten Basler Haushalt. Dies erlaubt ihr, ihrer Leidenschaft für Literatur zu frönen: Sie liest unermüdlich und beginnt Gedichte zu schreiben. In einem Kurs der Basler Logopädin Eva Bernoulli (1903–1995) entdeckt sie ihre Begabung für Schauspiel und Rezitation. Sie bewirbt sich am Radiostudio Basel, wo sie zuerst als ‹Hitspielerin› angestellt wird. Doch bald kann sie eigene Texte am Radio vorlesen und wird 1944 sogar mit der Mundartfassung von Thornton Wilders Theaterstück ‹In our town› als Hörspiel betraut. Helene Bosserts Version, die in Liestal spielt, wird unter dem Titel ‹Euses Stedtli› im Februar 1946 ausgestrahlt.

Eine verhängnisvolle Reise
Die Publikation ihres ersten Gedichtbands 1942, ihre späte Hochzeit mit Ulrich Fausch 1944 und die Geburt ihres Sohnes Johann Ulrich (Hansueli) 1945 besiegeln ihr Glück. Doch bald muss sie erfahren, welche Auswirkungen der Kalte Krieg auch im Privaten haben kann.

Helene Bossert sieht sich stets als unpolitisch, ist aber überzeugte Pazifistin, Christin und steht dem Religiösen Sozialismus nahe. In den 1950er-Jahren geraten jedoch auch heute gemässigt scheinende Persönlichkeiten ins Visier der Staatsschützer. Die Schweizer Bundesanwaltschaft legt im Geheimen ‹Fichen› über ihr verdächtige Personen an und bekämpft alles, was sie als kommunistische Umtriebe betrachtet. Antikommunistische Propaganda ist omnipräsent, doch auch die Sowjetunion versucht, die Stimmung zu beeinflussen. So lädt das ‹Antifaschistische Komitee der Sowjetfrauen› westliche Frauengruppen zu kostenlosen Reisen hinter den Eisernen Vorhang ein, ergänzt von einem Gegenbesuch. Auch die ‹Schweizerische Frauenvereinigung für Frieden und Fortschritt› erhält eine solche Einladung. Sie fragt Helene Bossert an, sich ihrer Delegation anzuschliessen – und diese sagt nach einigem Zögern zu.

Der grosse Bruch
Später wird die Dichterin betonen, dass sie sich nur ein Bild von Land und Leuten habe machen wollen, um durch gegenseitiges Verständnis den Frieden zu befördern. Auch spielt sicher eine Rolle, dass Ferienreisen ins entfernte Ausland für sie finanziell unerschwinglich sind. Die schwerwiegenden Konsequenzen der Reise sieht sie jedenfalls trotz der aufgeheizten Stimmung nicht voraus.

Schon während Bosserts Abwesenheit erscheint ein angriffiger Artikel in der ‹Volksstimme›, der die Gerüchteküche in Gang bringt. Nach ihrer Rückkehr wird sie nicht nur an ihrem Wohnort Sissach geschnitten, sie ist auch einer medialen Hetzkampagne ausgesetzt. Die Bundesanwaltschaft, die bereits früher beim Radiostudio Basel ihre Entlassung erwirken wollte, weil sie mit einem möglicherweise kommunistischen Gewerkschafter verheiratet ist, hat nun Erfolg: Bossert wird entlassen. Die Beamten intervenieren sogar, wenn sie zu Lesungen eingeladen wird, sodass sie innert kurzer Zeit fast alle Auftritts- und sogar alle Publikationsmöglichkeiten verliert. Zudem wird sie sporadisch von der Kantonspolizei Baselland überwacht. Als besonders brutal erlebt Helene Bossert die soziale Ausgrenzung, die auch ihren Ehemann und den erst achtjährigen Sohn betrifft, der in der Schule gequält und gehänselt wird.

Ausstellung im DISTL und Publikation
Was die Dichterin auf ihrer verhängnisvollen Reise genau sieht, wie sie später mit den dunklen Jahrzehnten der Diffamierung und Ausgrenzung  umgeht und weshalb sie bis heute nicht vollständig rehabilitiert ist, zeigt die neue Ausstellung ‹Helene Bossert – Heimatdichtung und Hexenjagd› im Dichter:innen- und Stadtmuseum. Bosserts Nachlass, der seit 2022 im Staatsarchiv Basel-Landschaft liegt, ermöglicht detaillierte Einblicke in ihr Leben und Werk. Eine Begleitpublikation, die unter demselben Titel im Verlag Baselland erscheint, versammelt eine Vielzahl aus dem Nachlass gewonnener neuer Erkenntnisse. Erfahren Sie mehr über diese fesselnde Geschichte, die heute wieder grosse Aktualität hat!

Laufzeit der Ausstellung ‹Helene Bossert – Heimatdichtung und Hexenjagd›: 9.11.2024–17.08.2025:
Die Publikation ‹Helene Bossert – Heimatdichtung und Hexenjagd› ist im DISTL oder beim Verlag Baselland erhältlich.

Fotografie: Helene Bossert mit ihrem Sohn Hansueli, 1945/46. Fotografie von Theodor Strübin.