Ein Ziegel für die Arche

Tagtäglich streift unser Blick ein ganzes Meer von Ziegeln. Meist nehmen wir sie kaum wahr, es sei denn, wir schauen vom Riesenrad herab auf die Dächer der Basler Altstadt. Es bedarf einer besonderen Fantasie, um aus einem Tonziegel ein Kunstwerk zu machen. Der Basler Künstler Max Kämpf (1912–1982) war damit reich beschenkt. Zeitgenossen erlebten ihn als Stadtoriginal, die Basler schätzten ihn als «ihren Künstler», da er auch unzählige «Fasnachtshelgen» erschuf. Eine archaisch anmutende Tiermaske ist auch auf dem Ziegel, den Kämpf 1966 in der Freskotechnik bemalte. Vermutlich war die spezielle Technik der Grund für die Wahl des ungewöhnlichen Bildträgers. Fresken benötigen einen robusten Untergrund, bewegliche Bilder sind entsprechend unüblich. Vielleicht ist Max Kämpf überhaupt der einzige Künstler, der je einen Ziegelstein bemalt hat. Heute ist der Ziegelstein im Besitz von ARK Basel, dem Archiv regionaler Künstlerinnen- und Künstler-Nachlässe. Entstanden aus der Initiative von kunstinteressierten Privatpersonen, ist das Archiv die lokale Antwort auf ein weltweites Problem: Was geschieht mit der Kunst, wenn eine Künstlerin stirbt? Museen und Galerien sind überfüllt. Finden die verzweifelten Erben keine Lösung, droht die Mulde. Die Zerstörung von Kunst ist gesellschaftlich aber tabuisiert – ein Hinweis darauf, wie stark sie auch von Laien dem kulturellen Erbe zugerechnet wird. ARK Basel – das englische «ark» bedeutet «Arche» – sammelt und verbreitet Kernnachlässe namhafter lokaler Kunstschaffender. Die Nachfrage ist riesig. Innert Jahresfrist konnten trotz strenger Aufnahmekriterien bereits zwölf Nachlässe übernommen werden. Auch Raymond Chobaz, Erbe Kämpfs, war erleichtert, als er dessen Lebenswerk im Frühjahr 2020 in die Obhut von ARK Basel übergeben konnte. Seither wurde der Nachlass mit Hilfe von Studierenden der Universität Basel erschlossen und wird nun in der Zentrale Pratteln ausgestellt.

Düsteres Frühwerk und überraschendes Spätwerk

Einmal mehr revidiert die Auseinandersetzung mit den nachgelassenen Materialien das gängige Bild des Künstlers. Anstatt des allzu bekannten kauzigen Bohemiens können in der Ausstellung bis zum 19.September ein engagiertes, ernst-düsteres Frühwerk und ein überraschendes Spätwerk entdeckt werden. Die neue Sicht auf Kämpf wird anhand von «Tiefenbohrungen» zu markanten Werkgruppen und biografischen Ereignissen herausgearbeitet. Dabei scheint immer wieder Zeitgeschichtliches auf: In der sogenannten «Schnauzaffäre» wird der Kalte Krieg greifbar. Am Beispiel von Kämpfs zweiter Lebenspartnerin Tilly Chobaz- Keiser wiederholt sich das typischeSchicksal der Frau, die im
Hintergrund bleibt. Erstmals überhaupt werden in der Ausstellung ihre Porträts und Landschaften gezeigt. Auch verborgene Schätze werden in Kämpfs Nachlass gehoben. So etwa eine Reihe von Aktzeichnungen aus seinen Lehrjahren und Studien zum singulären Hauptwerk «Hölle». Neben bizarren Felsenlandschaften und Indianerporträts gibt es in der Ausstellung auch noch weitere Ziegel zu bestaunen und sogar käuflich zuerwerben.

Dieser Text erschien als Beitrag der Serie «Hingucker» in der Basellandschaftlichen Zeitung. Redaktionelle Verantwortung: Hannes Nüsseler