Ein silberner Comic aus der Baugrube
Adrienne Cornut, Augusta Raurica, 14. Juli 2022Der Mann, der Mythos, die Legende: Achilles ist der wahrscheinlich berühmteste Held aus dem Trojanischen Krieg. Doch was wissen wir eigentlich über sein Leben vor der Schlacht? Und was hat der Held mit Augusta Raurica zu tun?
Aufschluss darüber gibt uns die Achillesplatte, so genannt wegen der Darstellungen aus der Kindheit und Jugend des Helden. Wie bei einem Comic laufen die einzelnen Bilder entlang des Randes und erzählen aus seinem Leben: Von seiner Geburt über das Bad im Fluss der Unterwelt, das ihn bis auf seine Ferse unverwundbar machte bis hin zu seiner Erziehung durch den Zentauren (ein Wesen halb Mensch, halb Pferd).
Den Höhepunkt bildet die Darstellung in dem zentralen Bildfeld in der Mitte: seine Rekrutierung für den Krieg durch Odysseus. Griechische Mythen waren also auch in römischer Zeit noch sehr beliebt – Helden wie Achilles galten als Vorbilder.
Ein zusammenklappbarer Kerzenständer
Die Platte ist mit 53 cm und 4,6 kg von beachtlicher Grösse. Aufgrund einer griechischen Inschrift auf der Unterseite kennen wir auch den Silberschmied und den Herstellungsort: ein Pausilypos fertigte die massive Platte in Thessalonike an. Ob die Platte je zu Tisch verwendet wurde oder rein dekorativen Zweck hatte, muss offenbleiben.
Die Achillesplatte ist allerdings kein Einzelstück, sondern Teil des Kaiseraugster Silberschatzes, dem Herzstück des Museums von Augusta Raurica. Es handelt sich um einen der wertvollsten und wichtigsten Schätze aus der Spätantike: 58 kg reines Silber, verarbeitet zu 270 Objekten wie Platten, Löffel, Münzen und sogar einem zusammenklappbaren Kerzenständer, die aus verschiedenen Orten des römischen Reichs zusammengetragen wurden.
Die Besitzer, die ihre Namen teilweise auf den Objekten eingeritzt haben, waren hochrangige Gefolgsleute des Kaisers. Einige der Platten waren sogar Geschenke von diesem selbst. Damit sicherte er sich die Loyalität seiner Untergebenen und festigte freundschaftliche Beziehungen in turbulenten Zeiten. Der damalige Wert des Silberschatzes war übrigens immens: Er entsprach dem Jahressold von 230 Legionären.
Besondere Fundumstände
Um 351 n. Chr. wurde das Ensemble dann im Castrum Rauracense, im heutigen Kaiseraugst, vergraben. In unsicheren Zeiten war dies damals die einfachste Art, sein Hab und Gut zu schützen – jedoch kamen die Besitzer nie zurück und der Schatz blieb lange Zeit im Boden versteckt. Erst im Frühjahr 1962, also vor genau 60 Jahren, wurde das Silber bei Bauarbeiten zufällig entdeckt.
Der Bagger riss die Stücke damals aus dem Boden, jedoch merkte zunächst niemand, dass es sich um einen römischen Schatz handelte! Anwohner und Passantinnen nahmen einige der Stücke zu sich. So beobachtete die Wirtin des benachbarten Restaurants, wie eine Familie mit einer Platte wegfuhr und notierte sich die Autonummer. Als die Archäologen die Familie gefunden hatten, brachte ihnen der 7-jährige Sohn die Achillesplatte aus seinem Schlafzimmer.
Heute ist das Prunkstück zusammen mit dem restlichen Silberschatz im Museum in Augusta Raurica ausgestellt – ein Besuch lohnt sich! Weitere Infos auf www.augustaraurica.ch.
Dieser Text erschien als Beitrag der Serie «Hingucker» in der Basellandschaftlichen Zeitung vom 17.02.2022. Redaktionelle Verantwortung: Hannes Nüsseler