Die ‹Spitteler-Kur› und ihre Nebenwirkungen. Eine Kuratorin berichtet

In der Vorbereitung einer Ausstellung gibt es immer unzählige Dinge zu beachten und die Ideen sprudeln. Eine wichtige Gruppe wird in dieser Phase jedoch eher selten befragt: das Publikum. Obwohl interaktive und partizipative Ansätze – also Ausstellungen, die in irgendeiner Weise zum Mitmachen auffordern – gerade sehr ‹in› sind, ist es gar nicht so einfach, die Menschen schon einzubeziehen, bevor man ihnen die Museumstüre öffnet.

Glücklicherweise hat das Dichter- und Stadtmuseum einen sehr aktiven Gönnerverein und ist in der Stadt Liestal hervorragend verankert. Wenn man zudem noch vor Ort wohnt, stolpert man als Kuratorin oft auch ganz unverhofft, zum Beispiel auf dem samstäglichen Markt, über interessierte Gönnerinnen und lokale Spitteler-Experten. Als ich mich also vor bald zwei Jahren an die Vorbereitung der Ausstellung ‹Poesie und Politik. Zum 100-Jahr-Jubiläum der Literaturnobelpreisverleihung an Carl Spitteler› gemacht habe, habe ich mich zuerst einmal umgehört, was die LiestalerInnen denn von diesem Projekt erwarten. Das überwältigend deutliche Resultat war: «Ich möchte wissen, wer dieser Spitteler überhaupt war und was er geleistet hat, um den Nobelpreis zu erhalten!»

Wenn man wie ich seine Arbeitszeit neben einem Regal voller Spitteler-Literatur verbringt, ist das zuerst überraschend. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar: Es gibt tatsächlich keine gut lesbare und leicht zugängliche Spitteler-Biografie. Die sehr präzise und verlässliche Biografie von Werner Stauffacher bei Artemis ist erstens vergriffen – und zweitens über 900 Seiten dick. Diese Ausgangslage war der Grund für die wichtigste Weichenstellung der Planung: Ich würde eine klassische Informationsausstellung kuratieren, die aber natürlich auch nicht langweilig werden sollte.

Das Ergebnis scheint zu überzeugen, wenn man den grossartigen Besucherzahlen glaubt. Wer sich eine Stunde Zeit für einen Besuch im Dichter- und Stadtmuseum nimmt, weiss danach die relevanten Fakten zu Spittelers Leben und Werk und kann zudem Highlight-Objekte wie die noch nie gezeigte Nobelpreismedaille und viele persönliche Gegenstände des Dichters bewundern. Die Texttafeln tragen Überschriften wie ‹Die «unvergessliche Heimathgemeinde» Liestal›, ‹Meisterwerke und Musen› oder ‹Chronologie eines Dichterlebens›. An einer Lesestation mit einem Sofa steht Spitteler-Literatur bereit und eine Bilderschau verleiht den Menschen im Leben des Dichters ein Gesicht. Spielerische Elemente lockern das Ganze auf, z.B. Black Tigers Spitteler-Rap sowie ein Stadtrundgang, der aus dem Museum hinaus zu Spittelers Spuren in Liestal führt (der Rundgang gehört zwar zum Ausstellungsbesuch, kann aber auch zu einem späteren Zeitpunkt gemacht werden).

Es gibt eine witzige autobiografische Erzählung von Carl Spitteler aus seiner Studentenzeit mit dem Titel ‹Meine Milchkur›. Sie berichtet, wie ihn einige Medizinstudenten mit ihrer Überzeugung, Milch sei viel nährstoffreicher als andere Lebensmittel, dazu verleiten, sich praktisch nur noch mit Milch zu ernähren. Nicht überraschend endet das Experiment mit bedenklichen körperlichen Beschwerden und ausgesprochen schlechter Laune – was alles durch ein Festmahl behoben werden kann.

In diesem Sinne kann ich nach zwei Jahren mit dem einzigen gebürtigen Literaturnobelpreisträger der Schweiz zweierlei berichten: Erstens wird ein Menschenleben immer interessanter, je intensiver man sich damit beschäftigt, und zweitens ist die fast ausschliessliche literarische Diät mit Spitteler-Texten gesundheitlich unbedenklich. Wenn Sie das nachprüfen möchten, haben Sie noch bis zum 31. Dezember 2019 die Gelegenheit zu Ihrer ganz persönlichen ‹Spitteler-Kur› – in der Ausstellung ‹Poesie und Politik› im Dichter- und Stadtmuseum Liestal.